Bern und Ajoie: Kaderanalyse – Teil 5

MySports-Experte Ueli Schwarz nimmt in seinem neuen Blog «Schwarz oder doch Wiis?» das aktuelle Geschehen der National League wöchentlich genauer unter die Lupe. Bern hat mächtig aufgerüstet und will zum alten Glanz zurückfinden. Ajoie hingegen will endlich die rote Laterne in der Tabelle abgeben und sich Platz um Platz nach vorne kämpfen. So hat jeder Club seine Erwartungen – wer kann sie erfüllen oder gar übertreffen?

TEIL 1: GENF, BIEL & RAPPERSWIL

Teil 2: ZSC Lions, Davos & Zug

Teil 3: Lugano, Lausanne & Ambri-piotta

Teil 4: Fribourg, Langnau & Kloten

SC Bern

Torhüter: Reideborn ist sicherlich ein wesentliches Upgrade im Vergleich zum letztjährigen Duo Manzato/Wüthrich. Dem an sich positiven Ansinnen dem eigenen Junior Wüthrich die ganz grosse Rolle zu geben, sind also vorerst einmal Grenzen gesetzt. Manzato wird wohl nur noch die Rolle des Mentors und des «Ab und zu – Türöffners» bleiben. Die Verpflichtung Reideborn`s basiert auf den eigenen haushohen Wiedergutmachungs-Ansprüchen und geht einher mit der Verpflichtung von insgesamt 7 Ausländern. Der Coaching Staff darf, muss oder kann an jedem Spieltag die Fragen des Nummer 1 Goalies und damit verbunden eben auch der Anzahl ausländischer Feldspieler beantworten. 

Verteidigung: Die Defensive präsentiert sich auf dem Papier im Vergleich zur Vorsaison deutlich besser. Mit Honka, Loeffel und Untersander stehen 3 Rechtshänder Offensivverteidiger im Kader. Das kann gewisses Konfliktpotential bergen, vor allem im Powerplay. Neuzugang Kreis und die Nachwuchshoffnung Henauer (geniesst eine letzte Saison die Bezeichnung "Junger") haben sicher diesbezüglich auch gewisse Ambitionen. Mit Nemeth stösst ein zuverlässiger Defensivspezialist mit Gardemassen dazu, der wohl eher viel Eiszeit 5 gegen 5 und in Unterzahl erhalten wird. Mit dem Neuen Paschoud kommt ein Verteidiger für die Positionen 5-7 dazu. In den Top 6 weist die Verteidigung also sehr viel Potential aus. Um die Plätze 6-10 werden sich Henauer, Zgraggen, Paschoud, Meile und Füllemann balgen.

Offensive: Die 4 ausländischen Stürmer bilden zumindest auf dem Papier ein starkes Quartett. Ergänzt mit den arrivierten Moser, Scherwey, Vermin bilden sie einen starken offensiven Kern. Bärtschi war sicher auch da ursprünglich eingeplant, als man ihn für drei Jahre verpflichtete. Sein Rücktritt hinterlässt gemessen an den letztjährigen Leistungen wenig Spuren, macht aber den Kern der Leistungsträger schmaler. Baumgartner, Bader, Fahrni, der Langausfall Lehmann und Ritzmann haben nun vorerst mal die Chance, sich unverzichtbar zu machen. Näf, Fuss und Ryser haben da wohl noch einen etwas längeren Weg vor sich. Die 2. Garde muss liefern, so dass man nicht zwingend immer 4 Ausländer im Sturm wird aufstellen müssen. Das würde in der ausländischen Defensivfraktion wohl keine Begeisterungsstürme auslösen. Der Kern muss also liefern und die nächste Garde muss sich zwingend etablieren, wenn Bern mit den besten Offensivteams mithalten will.  

Ausländer: Nun gehört auch der SCB zu denjenigen Teams mit einem ausländischen Goalie und demzufolge 7 Ausländern. Reideborn wurde geholt, um die Mehrheit der Spiele zu bestreiten. Mit Honka und Nemeth verstärken 2 sehr unterschiedliche, aber der spielerischen Chemie sehr zuträglich Profile die Defensive. Im Sturm «überlebten» der starke und unbestrittene Kahun und die polyvalente Überraschung Sceviour die schwarze letzte Saison. Vom neuen Tschechen Frk werden gleich viele Punkte wie von DiDomenico erwartet, jedoch mit deutlich weniger Eiszeit. Neu stösst Corban Knight als insgesamt 7. Ausländer dazu. Seine Verpflichtung erfolgte als Konsequenz von Lindberg`s spätem und vorzeitigem Abgang. Knight hat weniger in der NHL als in der KHL überzeugende offensive Werte erspielt. Mit Kahun, Knight und Sceviour stehen neben Baumgartner und Fahrni 3 Spieler im Kader, die die Mittelachse stark und tief erscheinen lassen. An Alternativen fehlts nicht !

Kadertiefe: Sie ist im Tor und in der Verteidigung gut und wird nicht als Grund für allfällige Enttäuschungen hinhalten können! Im Sturm ist man darauf angewiesen, dass die grossen Namen auch gross aufspielen und dass Aspiranten für grössere Rollen Fortschritte machen, denn nur so wird man wirklich über 4 Linien ausgeglichen sein.

Coaching Staff: Tappola ist ein ausgesprochener Erfolgstrainer, der in seiner Philosophie stark an Jalonen erinnert und gerne das Optimum aus arrivierten Spielern heraus holt. Er wird das Leistungsprinzip voll umsetzen und auf Resultate coachen. Jeder Trainer der Bern aus der jüngsten Vergangenheit kennt, würde das Gleiche machen. Die bisherigen Assistenten kennen sowohl die Liga als auch wie das Umfeld in Bern tickt. Sicher kein Nachteil.

Umfeld: Bern hat Jahre der Irrungen und Wirrungen mit vielen, nicht immer nachvollziehbaren, Personalentscheiden hinter sich. Man hat kräftig versucht, das zu ändern und stellt einen Kader, der zu einer richtigerweise positiveren Zukunftsbetrachtung führt. Damit ist der Resultatdruck aber auch deutlich gestiegen. Es gilt: Finde dich in der Tabelle in den Top 4 und es bleibt ruhig oder eben alles andere als.

Mögliche leistungshemmende Faktoren: Das Handling der Torhüter und damit gekoppelt der Imports ist immer ein möglicher Unruheherd. Das Umfeld erwartet auf Gedeih und Verderben deutlich bessere Resultate als zuletzt, was alle unter (zu) viel Strom setzt. Der Kern des Teams ist im fortgeschrittenen Alter. Der Club muss aufpassen, dass nicht für kurzfristige Erfolge zu viele ältere Spieler zu sehr forciert werden. Junge die ihre Entwicklung im SCB in Angriff genommen, aber noch nicht voll genutzt haben, müssen für die mittelfristige Zukunft auch Fuss fassen können. Diese Balance kann für die Coaches zur nicht reibungslosen Herausforderung werden.

Mein Tipp für die Regular Season: Der SCB ist vorab im Tor und in der Verteidigung besser einzustufen als im Vorjahr. Viel wird davon abhängen, dass die offensiven Leader alle performen und die Aspiranten darauf sich weiter steigern. Rein von der Substanz her stellt Bern ein mögliches Top-6-Team. Es ist davon auszugehen, dass die Saison zum Steigerungslauf wird und je nach Verlauf der ersten Saisonhälfte sind im Optimalfall Rang 5 oder 6 möglich. Die Konkurrenz dafür ist sehr gross und der Grat, um erneut auf den Rängen 7-11 zu landen, bleibt wie bei vielen Konkurrenten trotz des besseren Kaders unter der Führung eines Erfolg-Coaches schmal.

HC Ajoie

Torhüter: Die Besetzung zeugt von Konstanz und Zukunftsperspektive. Wolf war und ist ein sehr guter  Goalie, Ciaccio kann jederzeit einspringen, wird aber wohl im letzten Vertragsjahr stehen, denn sonst macht die Rookie-Verpflichtung Pattenaude`s bis 24/25 kaum Sinn. Wo er (oder Ciaccio...) allerdings zu Spielpraxis kommt, ist eine offene Frage. Eine 3er Rotation ohne Not eines Ausfalls eines Goalies macht wohl kaum Sinn.

Verteidigung: Ajoie verfügt über eine leicht bessere und auch etwas tiefere Defensive als im VorjahrFischer/Scheidegger und der Allrounder Rundqvist machen die Verteidiger sicher breiter und besser als im Vorjahr – was aber auch nötig ist. Mit Gélinas kommt ein Leduc Ersatz und die tragende Säule Brennan ist geblieben. Im Spiel mit der Scheibe können die 2 Imports, Fey und Scheidegger (ihm traut man das nun schon lange zu) wohl am ehesten Akzente setzen. Will Ajoie Erfolg haben, müssen aber die Verteidiger in erster Linie defensiv solid und sauber arbeiten.

Offensive: Ajoie setzt etwas überraschend auf 4 von 5 Import Stürmer des Vorjahres, fügt aber Audette dazu. Er ist ein Gewinn, weil mit ihm, Devos, Gauthier & Frossard die Mittelachse gut besetzt ist! Das bedeutet wohl auch, vorausgesetzt die «denkmalgeschützten Ajoie-Ikonen» Hazen und Devos sind gesund, dass Asselin hart um seinen Platz wird kämpfen müssen. Gauthier war ein solider Team- und Zweiwegcenter und ein gutes Pendent zu Devos, aber selten ein spielentscheidender Mann. Angesichts des Umstandes, dass die 2 Import-Verteidiger wohl werden spielen müssen, ist das Team in welcher Zusammensetzung auch immer, enorm auf die offensive Produktion der dann 4 Import-Stürmer angewiesen. Betrachtet man daneben die Besetzung mit CH-Stürmern, muss man einfach darauf hoffen, dass zwei jüngere Spieler grosse Schritte vom Mitläufer zum tragenden Element machen (Garessus, Kohler). Daneben hat man, was man hat, und bekommt wohl auch, was man bis jetzt bekommen hat. Wenn Ajoie als Team Fortschritte, sprich etwas kompetitiver werden will als 22/23, dann wird das wohl in erster Linie über eine verbesserte Defensive und nicht über eine deutlich bessere Offensive möglich sein

Ausländer: Mit 7 Ausländern hat Ajoie Optionen. Wie gut ist Gélinas nach einer gesundheitlich und spielerisch schwierigen Saison in Bern? Er kam mit Vorschusslorbeeren aus Schweden zu Bern, wurde denen aber nicht gerecht. Er dürfte besser sein als Leduc, aber wieviel? Brennan war schon im Vorjahr sehr wichtig für das Team, weniger defensiv als in der Spielgestaltung an der Blauen Linie und im Powerplay. Ein gesundes Duo Devos/Hazen kann durchaus Akzente setzen und Audette/Gauthier dürften je eine Linie anführen. Asselin kann zwar scoren, aber dem Team hätte wohl etwas mehr Leadership und Allroundqualitäten gut getan.

Kadertiefe: Quantitativ und von Beginn weg mit einem zusätzlichen Ausländer präsentiert sich der Kader gut aufgestellt. Verletzungen könnten aber qualitativ vor allem in der Verteidigung Spuren hinterlassen und das Team schwächen. Rein qualitativ ist der Sturm, abgesehen vom zusätzlichen Ausländer, auch nicht sehr breit aufgestellt, was andeutet, dass die Produktivität der Ausländer enorme Bedeutung haben wird.

Coaching Staff: Mit Wohlwend traf man eine interessante Wahl. Er ist ehrgeizig, fordernd, emotional und hasst Niederlagen. Man darf gespannt sein, wie er auf mehr Niederlagen als Siege reagieren wird und wie das frankophone Kader und das Umfeld auf ihn reagieren werden. Der grosse Vorteil für ihn: Schlechter als Rang 14 aus dem Vorjahr und einer extrem knappen Rettung in der Ligaqualifikation kann es kaum gehen. Alles, was besser ist als das, dürfte als Erfolg angesehen werden und ihm den Rücken stärken.

Umfeld: Die ersten beiden Jahre haben Ajoie gelernt, wie hart die Etablierung in der NL ist. Ajoie ist sich deshalb gewohnt, auch dann einfach das Beste aus der Situation zu machen, wenn die Luft ab und an zu dünn war oder ist. Man labt sich an jedem Sieg und schöpft Kraft und Energie daraus. Anderseits hat man das Budget kontinuierlich immer wieder erhöht und das mildernde Argument der NL-Angewöhnungszeit läuft aus. Ein höheres Budget und damit auch mehr wirtschaftliche Risiken schüren aber irgendwann schon die Erwartung, bis ans Ende der Regular Season kompetitiv zu sein  und irgendwann mal paar Ränge besser da zu stehen. 

Mögliche leistungshemmende Faktoren: Fehlende Schweizertore oder Verletzungen in der vorderen Verteidiger-Hierarchie könne die Aufgabe erschweren. Abgeschlagen auf dem 14. Rang und in der Ligaqualifikation zu landen wird intern und extern niemanden mehr begeistern. Deshalb werden ultimative Erwartungen an eine positive Entwicklung stets präsent sein. Nach Sheehan, Pesan und Vauclair versucht ein 4. Trainer die Etablierung in der NL zu erreichen. Dieser Umstand und die Art und Arbeitsweise Wohlwends werden Zeit und die nötige Geduld benötigen, um Früchte zu tragen. Es ist aus Ajoie-Sicht und generell für den Status der Schweizer Trainer zu hoffen, dass der Start gelingt und nicht zu früh zu viel Unruhe entsteht. Der Umstand, dass viele Verträge auslaufend sind, wird für engagierte Spieler sorgen, weil nicht viele NL-Alternativen haben werden. Die Kehrseite davon ist jedoch die latente Gefahr gewisser Unruhen.

Mein Tipp für die Regular Season: Ajoie wird Abend für Abend ein unbequemer Gegner sein, ganz besonders zu Hause. Der Schritt diesen Umstand auch in Punkte umzumünzen, wird auf die Dauer für Ajoie schwierig bleiben. Ich erwarte mehr als die letztjährige Anzahl Siege (16) und dass man den Kontakt zu den Rängen 10-13 länger als bisher halten kann. Im besten Fall kann man erstmals seit der Rückkehr in die NL ein oder mehrere Teams hinter sich lassen.