Lugano, Lausanne, Ambri-Piotta: Kaderanalyse – Teil 3

MySports-Experte Ueli Schwarz nimmt in seinem neuen Blog «Schwarz oder doch Wiis?» das aktuelle Geschehen der National League wöchentlich genauer unter die Lupe. Im dritten Teil seiner Saisonvorschau analysiert er die Kader von Lugano, Lausanne und Ambri-Piotta. Das ewig am Limit kämpfende Ambri hat in der vergangenen Saison fast gleich viel erreicht, wie die mit weit mehr Ressourcen operierenden Lugano und Lausanne. Während Ambri plus minus den Erwartungen gerecht wurde, war das bei den anderen nicht der Fall. Ob sich das ändern wird?

TEIL 1: GENF, BIEL & RAPPERSWIL

Teil 2: ZSC Lions, Davos & Zug

HC Lugano

Torhüter: Schlegel, Koskinen und Fatton bilden eines der besten Gespanne. Koskinen hatte Hochs und Tiefs - im Hoch war er unglaublich stark, im Tief jedoch die Ausländerlizenz nicht immer wert … Schlegel hat gezeigt, dass man ihm viel Vertrauen geben kann und darf. Die TH-Wahl wird die Aufstellung auf dem Feld – vor allem in der Offensive - stark beeinflussen.

Verteidigung: Mit Alatalo, Andersson und Mirco Müller sind drei Top-Vier-Verteidiger im Kader. Mit LaLeggia wurde ein neuer Import für die Top-Vier geholt. Er hat es nie in die NHL geschafft, kennt aber den europäischen Stil nach drei Saisons in Schweden. Er hat dort offensiv jeweils beachtliche Werte erzielt. Guerra, Wolf und Peltonen sind drei valable #5-7, aber über längere Phasen kaum Top-Vier Verteidiger. Die Tiefe für die Top-Vier-Positionen ist kritisch und daher wird wohl LaLeggia Fixstarter sein.

Offensive: Ein Umbruch ist im Gang: Canonica, Verboon, Zanetti, Patry, Cormier und Gerber - 6 von 16 Stürmern sind 23 oder jünger. Es stehen fünf ausländische Stürmer im Kader: die zwei Neuen - Ruotsalainen und Joly - dazu die bekannten Arcobello, Granlund und Carr. Da LaLeggia in der Verteidigung wohl gesetzt sein wird und Koskinen sicher 60 oder mehr Prozent der Spiele spielen wird, ist klar, dass nicht immer alle fünf auch spielen werden – für den Staff eine tägliche Herausforderung! Neben den sechs Zukunftshoffnungen und den fünf Imports stehen mit Thürkauf, Müller, Morini, Fazzini und Walker fünf sehr valable NL-Stürmer im Kader. Durch die vielen Jungen, sowie den neuen, sehr wendigen, schnellen Ruotsalainen und Joly entsteht neben den bekannten/bewährten Gesichtern eine spannende Mischung im Sturm.

Ausländer: LaLeggia wird wohl, wie erwähnt, sehr oft spielen aufgrund der Besetzung der Defensive. Koskinen wohl mindestens 60 Prozent der Spiele. Spielt er in der Form der Playoffs, ist er ein grosses Plus. Granlund scheint gesetzt. Arcobello enttäuschte über weite Strecken in der Vorsaison und muss sich steigern. Mit Joly kommt ein Sniper, der wohl Carr herausfordern wird. Ruotsalainen in der Form der zweiten Saisonhälfte wird für Lugano ein Plus und daher wohl zumindest zu Beginn auch gesetzt sein. 

Kadertiefe: Sie ist abgesehen von den möglichen Top-Vier-Verteidigern durchaus gut und sollte nicht zu Problemen führen.

Coaching Staff: Gianinazzi steht für ein anderes Lugano, mit einem anderen Stil und einer neuen DNA. Was das bedeutet, hat sich letzte Saison phasenweise angedeutet. Der Weg hat erst begonnen und ist noch weit. Als Erstes waren solidarisches Teamwork, viel Tempo und eine breite Verteilung der Verantwortung zu erkennen. Es ist für diesen neuen Weg zu hoffen, dass der Saisonstart gelingt und der Kurs kontinuierlich verfolgt wird.

Umfeld: Der eingeschlagene Weg weckt Sympathien. Damit diese aber erhalten bleiben, wird man auch in schwierigeren Momenten dazu stehen müssen. Der Druck der Tifosi ist wie immer enorm, weil sie in ihrem Selbstverständnis noch immer in den «grande tempi passati» leben … 
Es wird ab und zu eine dicke Haut der Leitung brauchen. Wenn sie dick genug ist, kann in Lugano tatsächlich ein erfolgreicher und erfrischender Image- und Kulturwandel gelingen.

Mögliche leistungshemmende Faktoren: Mit total 16 Stürmern und drei Torhütern hat Gianinazzi täglich die Qual der Wahl - wie meistert er das? Wie leistungsfördernd wirkt sich das aus? Wie ruhig bleibts im Team? Wie ruhig, konsequent und bestimmend steht das Umfeld dem neuen Weg gegenüber in Tagen, wo es nicht nur rund läuft? Es gibt im Kader beachtlich viele auslaufende Verträge und entsprechend entstehen dadurch mögliche Unruheherde. Häufiges und andauerndes Verletzungspech bei den Top 4 Verteidigern kann problematisch werden

Mein Tipp für die Regular Season: Ich traue Lugano eine Steigerung gegenüber dem enttäuschenden Rang zehn des Vorjahres zu und zumindest eine Qualifikation für die Play-In`s ohne jegliches Zittern. Wie weit die Steigerung gehen kann, muss sich weisen. Die Qualität des Kaders und ein optimaler Saisonstart können Lugano aber im besten Fall durchaus auch auf Rang fünf oder sechs tragen.

Lausanne HC

Torhüter: Mit Punnenovs, Hughes und Pasche hat Lausanne ein solides Trio mit Schweizer-Lizenzen. Aber gut genug, um ganz weit zu kommen? Punnenovs muss endlich zu physischer und mentaler Konstanz finden, Hughes seine Top-Saison in Fribourg zuerst noch bestätigen und Pasche den Anschluss ans NL-Niveau zuerst herstellen.

Verteidigung: Lausanne leistet sich eine sehr gute, tiefe und NL-erprobte Defensive. Zwei neue starke Imports (man hat sie kaum geholt, um sie nicht auch einzusetzen!), dazu Glauser und Frick, sowie Genazzi - das ergibt mögliche fünf Verteidiger für die Top-Vier, eine sehr gute Basis! Heldner, Jelovac & Marti sind valable #5-7 … aber nicht jeder wird diese Rolle erhalten. Sidler (vom Profil her eigentlich ein Mann, der v.a. mit der Scheibe kreativ sein kann und muss) steht vor einer ganz schwierigen Situation und muss viele Arrivierte hinter sich lassen, wenn er Eiszeit sehen will ... Bleibt die Verteidigung gesund, werden pro Spiel zwei Spieler die Spiele auf der Tribüne verfolgen oder sich vorzeitig einen anderen Club suchen müssen ... affaire à suivre.

Offensive: Es stehen nicht mehr 20 wie im Vorjahr, sondern "nur" noch 18 Stürmer im Kader … davon fünf Imports für wohl nur vier Plätze, weil die beiden neuen Import-Verteidiger gesetzt scheinen! Der Neuzugang Suomela verspricht sehr viel, Sekac scheint trotz nicht immer einfachem Umgang spielerisch gesetzt. Also erwartet wohl Kovacs, Raffel und Salomäki ein harter Konkurrenzkampf. Der restliche Kader ist immer noch massiv aufgebläht. Es sind harte "Healthy scratches" (gesund auf der Tribüne) zu erwarten oder die eine oder andere frühzeitige Vertragsauflösung. 

Ausländer: Die beiden Verteidiger Djoos und Pilut dürften zu den besseren ihrer Sparte in der NL gehören. Suomela dürfte neben Manninen einer der besten Neuzugänge ligaweit sein. Sekac's Power und Physis ist bekannt und prägend. Kovacs (ein talentierter Scorer), Raffl (ist nach einer verletzungsverseuchten und enttäuschenden Saison einiges schuldig) oder Salomäki (ein solider, intensiver Allrounder, aber ohne wirkliche Scoring Qualitäten) könnten das Eis öfters von der Tribüne aus sehen, als ihnen lieb ist.

Kadertiefe: Sie ist für ein Team, das keine Parallelwettbewerbe bestreitet, überdimensional. Kommt die Verletzungshexe oft und heftig zu Besuch – was man sich ja nicht erhofft - ein Segen, aber im andern Fall eben auch ein Fluch.

Coaching Staff: Ward hat es letztes Jahr geschafft, aus einer miserablen Situation heraus, dem Team ein besseres Gesicht zugeben ... nur war die Ausgangslage dermassen schlecht, dass niemand irgendwie Grund hatte aufzubegehren und es fast nicht mehr schlechter laufen konnte. Nun aber starten alle bei null. Die Führungsaufgabe wird ungleich schwieriger sein, weil die Erwartungen und der Druck viel besser zu sein als im Vorjahr natürlich haushoch sein werden ...

Umfeld: Es besteht mindestens gleich viel Verbesserungspotential wie auf dem Eis! Fust hat immer noch Altlasten im Kader - mitgegangen und mitgehangen – die es abzutragen gilt. Die grosse, emotionale, oft ein wenig chauvinistische Fangemeinde erwartet extrem viel. Ein Cocktail, der seitens des potenten Investors, des Managements und des Präsidiums ruhiges, geduldiges und besonnenes Handeln verlangt, soll das nicht wieder zu ungeniessbar werden und wie zuletzt nach aussen einen verwirrenden Eindruck vermitteln.

Mögliche leistungshemmende Faktoren: Das überdimensionierte Kader wirft viele Fragen auf, akzentuiert durch den Fakt, dass acht Stürmer auslaufende Verträge haben ... Keine Frage, dass dieses Kader enormes Talent-, aber eben auch enormes Konfliktpotential hat. Man hat sich in der Vergangenheit viel zu viele interne Unzulänglichkeiten erlaubt, um mit dem hochedlen Kader entsprechende Resultate zu erzielen. Das Umfeld schuldet den Beweis ruhig, geduldig und souverän zu führen.

Mein Tipp für die Regular Season: Die eigene Ambition ist bestimmt die Top-Sechs, was aufgrund der Kaderqualität und der Investitionen eigentlich sein sollte. Wenn da nur nicht die vielen Vorbehalte und schuldigen Beweise wären … Lausanne wird sich steigern, aber ob es in die Top-Sechs reichen wird, ist nicht garantiert und wäre eine positive Überraschung. Lausanne wird sich diesmal aber zumindest die Chance geben, via Play-In`s die Playoffs zu erreichen.

HC Ambri-Piotta

Torhüter: Aus dem bewährten Duo wurde mit dem Zuzug Fadanis für zwei Jahre ein Trio. Das wird Spekulationen um die Zukunft Conz` öffnen. Das Trio gibt Ambri die Möglichkeit a) einen jungen TH aufzubauen, b) Juvonen gezielt einsetzen zu können und c) Conz als immer noch soliden TH zur Hand zu haben. Ambri ist im Tor sicher konkurrenzfähig. Interessant wird sein, ob ein 7. Import engagiert werden kann, für den Fall, dass Juvonen auch mal pausieren wird.

Verteidigung: Zwei gestandene NL Verteidiger - Burren und Fischer - sind gegangen. Die noch jungen Wüthrich, Zündel, Terraneo & Pezzullo haben alle Talent, werden sich entwickeln und sie ablösen. Heed & Virtanen haben sich bestens bewährt und werden die ganz grosse Last tragen müssen, unterstützt von Fohrler und den beiden Dottis. In dem Line Up fehlen je eine klassische #3 & 4. Gerade in der Spielkonstruktion hinten raus und als dritte Variante für das PP kann das zu Buche schlagen. Die Breite für die Positionen #5-7 ist gross, nicht jedoch für die #3/4! Die Chance für die Newcomer, diese Lücke zu schliessen! Die Defensive scheint (noch) zu wenig ausgewogen und könnte bei Ausfällen zum Problem werden.

Offensive: Heims Abgang wiegt schwer … anderseits sind mit Douay, Brüschweiler und Eggenberger drei gestandene NL Spieler neu dazugekommen, die allesamt die Chance sehen, grössere Rollen zu erhalten. Mit dem neuen Import Center Dauphin, neben Spacek, verfügt Ambris Offensive trotz dem Abgang von Heim über zwei starke Center für die beiden ersten Linien. Zu den Imports gesellen sich in der Offensive zusätzlich mit Bürgler, Pestoni, Zwerger, Eggenberger, Douay, Kneubühler, Kostner, Hofer, und Grassi sehr gute Leute und man ist tief und gut besetzt. Von den enorm vielen Jungen, die im Kader sind, ist Landry der interessanteste. Kann er einen 3. Sturm führen? Generell ist die Offensive deutlich höher zu bewerten als die Defensive. Das Kader ist im Sturm extrem aufgebläht, allerdings mit Jungen, die sich wohl via Rockets hinaufdienen wollen.

Ausländer: Juvonen, Virtanen und Heed wissen genau, was in Ambri auf sie wartet und der Club weiss genau, was er von ihnen erhalten wird. Drei sehr solide Ankerspieler. Der sehr talentierte Spacek war letztes Jahr einer der besten und auffallendsten Center der Liga – ein weiterer Spieler, der bestens passt. Mit Chlapik hingegen verliert man 24 Tore, die zuerst wieder erzielt sein müssen. Dauphin wird in erster Linie Heim ersetzen müssen und es würde überraschen, wenn er die «Chlapik-Tore» kompensieren würde. Lilja ist ein ganz anderer Spieler – ein Allrounder mit viel Wasserverdrängung und Leidenschaft. Vom Profil her scheint er zu passen. Kann Ambri sich einen 7. Import leisten?

Kadertiefe: Sie ist mit Ausnahme der Verteidigung gut – das könnte bei Verletzungssorgen eine Achillesferse sein. Ein 7. Import würde Ambri viel helfen, wenn Juvonen pausiert oder es im Ausländerbereich zu Ausfällen kommen sollte.

Coaching Staff: Es herrscht mit Cereda und Matte Kontinuität - die Entwicklung und die Auftritte rechtfertigen das zu 100 Prozent. Es ist in Ambri ein steter, mental harter Kampf am Limit, das fordert enorm und kann irgendwann auch abnützen. Man hat die Saison seriös analysiert und darauf auch reagiert:
Zwei weitere ehemalige Biancoblu stossen zum Staff: man führt mit Landry frischen Wind in den Trainer-Staff und setzt mit Corsin Camichel einen Mentalspezialisten ein. Ambri wird auch 23/24 unter diesem Staff solid und dem Kader/Budget entsprechend abschneiden und seine Fans mit Passion & Leidenschaft nicht enttäuschen. 

Umfeld: Es ist wie immer sehr emotional – das kann Berge versetzen, aber auch zur Belastung werden, wenn Dinge nicht ideal laufen. Es wird sicherlich auch darum gehen, diesen Schwankungen mit einer gewissen Ausgeglichenheit widerstehen zu können. Dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit der neuen Arena langsam eher kleiner werden, wird die Lage beruhigen, aber das erneute Anheben der Abopreise hat einige Unkenrufe ausgelöst. Presidente Lombardi ist nun schon sehr lange dabei und hat mit seiner Crew bislang auch noch so grosse Schwierigkeiten gemeistert. Intern weiss man, was man hat und kann und was eben nicht. Das wird helfen emotionale Achterbahnfahrten – auch befeuert von der fanatischen Anhängerschaft - heil zu überstehen.

Mögliche leistungshemmende Faktoren: Die erneut erhöhten Eintrittspreise lösen zusätzlichen Druck aufs Team und die Leistungen aus. Irgendwann erreicht das Grenzen. Stimmen die Auftritte und Resultate, werden die Nebengeräusche verstummen, anderseits ein treuer und mühsamer Begleiter bleiben … Ambris Einzugsgebiet ist nun mal, wie es ist. Das führt dazu, dass man sehr viel dafür tun muss, ausserhalb der Leventina Resonanz zu finden. Dazu gehört die Teilnahme am Spengler Cup, auch wenn sie eine Zusatzbelastung ist. 

Mein Tipp für die Regular Season: Niemand wird es einfach haben gegen Ambri und niemand wird gerne gegen sie antreten. Die stete Passion und kämpferische Leidenschaft wird das Team lange im Rennen um die Plätze sieben bis zehn halten. Wie lange? Im Idealfall ist das auch als Schlussrangierung möglich, jedoch muss fast alles stimmen, damit das erreicht wird.