Rückblick auf die U20-WM in Kanada

Wie erwartet, haben letztlich die Nordamerikaner ihre Klasse in die Waagschale geworfen und sind ihrer Favoritenrolle gerecht geworden. Das Halbfinale zwischen Kanada und den USA war ein Leckerbissen auf höchstem Niveau, mit etwas mehr «Puckglück» und besserem Goaltending für die Kanadier. Im Gegensatz zu den USA haben die Kanadier im Verlaufe des Turniers ihr Goalieproblem in den Griff gekriegt. Positiv: Die Kanadier haben Gold einmal mehr mit einer manchmal schon fast naiven Vorwärtsstrategie gewonnen und mit dieser spektakulären Spielweise viel zur Attraktivität dieses Turniers beigetragen.

Die positive Ueberraschung waren die Tschechen, die eine hervorragende WM gespielt haben und verdient zu den Medaillengewinnern gehören. Auch im Finale gegen Kanada haben sie gezeigt, dass sie physisch mithalten konnten und mit Suchanek über einen herausragenden Torhüter sowie einen smarten Gameplan verfügten. Nicht zu vergessen: Tschechien hat in den Gruppenspielen Kanada besiegt und im Final sind sie nur haarscharf an der Ueberraschung vorbeigeschrammt. Tschechien hat sich nach enttäuschenden Jahren wieder etwas stabilisiert und zeigt erste Anzeichen, den kleinen «Gap» zwischen ihnen und den Schweden und Finnen wieder schliessen zu können. Es wäre dem Land mit grosser Hockeytradition zu gönnen. 

Die beiden skandinavischen Mannschaften aus Finnland und Schweden konnten in diesem Jahr erwartungsgemäss nicht ganz mit der Spitze mithalten. Bei Schweden wurden drei der besten Verteidiger schmerzlich vermisst, zudem konnten einige hoch gehandelte Forwards die Hoffnungen nicht ganz erfüllen. Finnland litt unter der unterdurchschnittlichen Besetzung ihrer Centerpositionen und auch die Defense war etwas zu lau. 

Bei all dieser «Nachkriegsgeneral-Logik» sei nicht vergessen, dass viele dieser K.O.-Spiele in die Overtime gingen, resp. erst in den letzten Minuten oder Sekunden entschieden wurden. Sachlich beurteilt hätten bei diesem dem Zufall holden Format im Finale alle Viertelfinalisten ausser Deutschland oder die Schweiz stehen können und dann wäre die Analyse leicht anders ausgefallen. So viel zu den Nachkriegsgeneralanalysen, so viel auch zu dieser Analyse… 😉

Ebenfalls erwartungsgemäss konnte von den Aussenseitern die Slowakei am meisten Akzente setzen. Im Viertelfinale strapazierten sie die Nerven der Kanadier und in den Gruppenspielen überraschten sie mit dem Sieg gegen die USA. 

Die Schweiz und die Deutschen haben unter dem Strich die nicht eben hohen Erwartungen immerhin erfüllt. Die Schweizer hatten einen positiven Ausreisser nach oben (unerwarteter Sieg gegen Finnland) und einen Absturz gegen Tschechien. Die Spiele gegen die Letten und die Slowaken waren - nicht überraschend - extrem eng, mit dem nicht unverdienten guten Ende für die Schweizer. Auch Deutschland hatte ein gutes Spiel gegen Schweden, aber auch enttäuschende Vorstellungen. Insgesamt muss konstatiert werden, dass die Hoffnung vorhanden war, dass Steinzeitniederlagen wie diejenigen der Deutschen, Oesterreicher und der Schweizer ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten sein wird. Leider nein, und dies ist dem Ansehen unserer grossartigen Sportart nicht eben förderlich. Wenn Top10-Nationen in Spielen untereinander manchmal noch immer derart grosse Leistungsunterschiede an den Tag legen, dann stimmt etwas mit der weltweiten Entwicklung in dieser Sportart nicht so ganz. 

Immerhin leuchtet auf individueller Ebene ein neuer Stern am Eishockeyhimmel. Was der jüngste Spieler an dieser WM (der Kanadier Connor Bedard) an dieser WM gezeigt hat, verspricht einiges: Ein neues Jahrzehntetalent; dies nach Sidney Crosby/Alex Ovechkin, dann Connor McDavid und jetzt Connor Bedard. Der Wert solcher Superstars, dieser «Special Players», kann nicht hoch genug eingeschätzt werden; sie sind die Aushängeschilder, die Posterboys, die Gründe, wieso von Eishockey gesprochen wird, sie sind die «Ticketsellers». Wir alle Eishockeyinteressierten profitieren enorm von diesen Stars, denn nichts ist toxischer für eine Sportart, als wenn solche Ausnahmekönner fehlen und – auf hohem Niveau – Mittelmässigkeit triumphiert. Mit Connor Bedard – Verletzungen ausgeschlossen – wird dem Welteishockey in den nächsten 15 Jahren mit grosser Wahrscheinlichkeit ein neuer Superstar geschenkt. Schön, dass die NHL wie auch die NHLPA, die Spielergewerkschaft, die Bedeutung der Stars erkannt hat und in den letzten Jahren mit subtilen Regelanpassungen dafür sorgten, dass diese «Special Players» vermehrt geschützt werden. 

Ebenfalls positiv gilt es die individuellen Leistungen der Tschechen David Jiricek, Jiri Kulich und Goalie Suchanek zu erwähnen. Bei Kanada haben neben Connor Bedard auch Logan Stankoven und Dylan Gunther überzeugt. Auch das Backhandtor von Shane Wright im Finale gegen Tschechien war Extraklasse. Bei den Slowaken hat Goalie Adam Gajan sehr positiv überrascht und bei den US-Amerikanern bestätigte Logan Cooley seine Klasse.

Trotz des auch qualitativ in den meisten Finalspielen hochstehenden Turniers bleibt ein Wermutstropfen: Aus sportlicher Sicht ist das Fehlen der Russen jammerschade. Eishockey ohne Russland geht eigentlich gar nicht, schon gar nicht in einer Sportart mit einer derart geringen Leistungsdichte an der Weltspitze. Auch Belarus hätte das Turnier bereichert und mit der Schweiz und Deutschland auf Augenhöhe konkurriert. Darum gehört folgendes zu einer sachlichen Analyse: Die wiederholten Viertelfinalqualifikationen der Schweiz und Deutschland sind auch dem Fehlen der Russen geschuldet.

  


Thomas Roost

Thomas Roost ist seit 1996 NHL-Scout für den Central Scouting Service und verfolgt die beste Liga der Welt hautnah.  Für MySports ist Roost als NHL-Experte & Co-Kommentator im Einsatz. In seiner wöchtenlichen Kolumne «Roosts Ramblings» schreibt er über Themen aus der NHL und der grossen Hockey-Welt.

https://www.thomasroost.com I Twitter: @thomasroost