NHL: Halbzeitbilanz

Grundsätzlich:
Wir haben viele grossartige, hochkarätige Spiele gesehen, mit vielen Toren (der Toredurchschnitt pro Spiel wird wahrscheinlich erneut ansteigen). Unglaubliche Tore, fantastische Pass-Stafetten und höchste individuelle Spielkunst haben wir erleben dürfen; Eishockey auf höchstem Niveau, so wie wir dies von der besten Liga der Welt erwartet und erhofft haben. Für Spannung ist ebenfalls gesorgt; der Kampf um die Playoffplätze ist erbittert, die Mehrheit der Teams müssen um jeden einzelnen Punkt leidenschaftlich kämpfen. In der Tabelle sind die ganz grossen Überraschungen bis jetzt ausgeblieben. Die Mehrheit der Favoriten sind tendenziell vorne mit dabei und die «Rebuild-Teams» bleiben aussen vor und hoffen auf Connor Bedard.

Welche Teams haben die Erwartungen bis jetzt übertroffen?
Im Westen sind dies sicher die Dallas Stars und die Winnipeg Jets. Beides Teams, die ich vor der Saison eher im Mittelfeld und Winnipeg sogar dahinter gesehen habe. Bei Dallas erleben im Schatten des neuen NHL Superduos Hintz/Robertson die Altstars Jamie Benn und Joe Pavelski einen zweiten Frühling und Verteidiger Miro Heiskanen hat den Sprung vom sehr guten zum Starverteidiger geschafft. Bei den Winnipeg Jets überzeugen vor allem Goalie Connor Helleybuck, Kyle Connor und Pierre-Luc Dubois. Auch hier hat ein Verteidiger, Josh Morrissey, den nächsten Schritt in der Entwicklung vollzogen und zeigt grossartige Leistungen. Zudem trägt Jungstar Cole Perfetti bereits einiges zum bisher überraschenden Erfolg bei. Auch die Seattle Kraken gehören zu den positiven Überraschungen. Sie sind aktuell relativ solide auf einem Playoffplatz klassiert. Im Osten gibt es bis jetzt kaum Überraschungen. Ok, die Devils sind sicher besser klassiert als erwartet und vor allem den Boston Bruins habe nicht nur ich diesen extrem souveränen Saisonstart nicht zugetraut, mussten sie doch zu Saisonbeginn für viele Spiele verletzungsbedingt auf Brad Marchand und Charly McAvoie verzichten.

Welche Teams haben bis jetzt enttäuscht?
Die Edmonton Oilers und die Colorado Avalanche haben im Westen bisher Mühe, in die Gänge zu kommen. Bei beiden tragen namhafte Langzeitverletzungen zum nur mittelmässigen Start bei. Ich erwarte bei beiden Teams letztlich die Playoffqualifikation, bei den Avalanche souverän und bei den Oilers mit Mühe. Die Columbus Blue Jackets gehören nach dem Startransfer von Johnny Gaudreau sicher zu den Enttäuschungen im Osten, aber auch bei Columbus gab und gibt es langzeitverletzte Schlüsselspieler. 

Wie steht es um die Teams mit Schweizer Spielern?
Arizona (J.J. Moser), die Chicago Blackhawks (Philipp Kurashev), Columbus (Tim Berni) und San José (Timo Meier) gehörten allesamt zu den Aussenseitern und dies hat sich bestätigt. Timo Meier überzeugt bei den San José Sharks und es könnte durchaus sein, dass die Sharks, als Rebuild-Team, versuchen werden, ihren grössten Schatz beim Tafelsilber meistbietend zu traden. Denis Malgin hat weder bei den Toronto Maple Leafs noch bisher bei der Colorado Avalanche nachhaltige Spuren hinterlassen und ist zudem aktuell verletzt. Eventuell können sich die ZSC Lions im Hinblick auf die Playoff auf entsprechende Verstärkung freuen. Die LA Kings mit Kevin Fiala sind auf gutem Weg, die letztjährige Playoffqualifikation zu bestätigen und hierzu trägt Fiala Wesentliches mit bei. Er ist teamintern klar der beste Skorer und hat als Königstransfer bis jetzt die hohen Erwartungen erfüllen können. Am spannendsten ist die Ausgangslage für die New Jersey Devils und die Nashville Predators. Die Devils haben wie von mir erwartet, einen grossen Leistungssprung machen können, allerdings habe ich geglaubt, dass dieser Leistungssprung noch nicht ganz für die Playoffqualifikation ausreichen wird. Aktuell sind die Devils einigermassen solide auf einem Playoffplatz; ich erwarte hier aber bis zum letzten Spieltag einen erbitterten Kampf. Viel zum bisher über Erwarten guten Abschneiden der Devils haben die Schweizer Nico Hischier und Jonas Siegenthaler beigetragen. Aehnlich eng schaut es für die Nashville Predators im Westen aus. Nach den beiden guten Transfers von Nino Niederreiter und Ryan McDonagh wurde vielerorts eine Steigerung gegenüber der letzten Saison erwartet. Hierbei wurde die Einschätzung vernachlässigt, dass viele ihrer Topspieler in der letzten Saison eine so genannte «Career-Season» eingezogen haben, d.h. die Predators haben über ihren Verhältnissen gespielt und dies bestätigt sich jetzt in dieser Saison. Auch hier: Unser Schweizer, Nino Niederreiter, erfüllt bisher die Erwartungen und steht aktuell teamintern als zweitbester Torschütze zu Buche. Die Preds werden vielleicht bis zum allerletzten Spieltag um die Playoffquali kämpfen müssen, denn wie bereits erwähnt, werden vermutlich die Edmonton Oilers und vor allem Colorado in der zweiten Saisonhälfte erstarken. 

  


Thomas Roost

Thomas Roost ist seit 1996 NHL-Scout für den Central Scouting Service und verfolgt die beste Liga der Welt hautnah.  Für MySports ist Roost als NHL-Experte & Co-Kommentator im Einsatz. In seiner wöchtenlichen Kolumne «Roosts Ramblings» schreibt er über Themen aus der NHL und der grossen Hockey-Welt.

https://www.thomasroost.com I Twitter: @thomasroost