Nackenschlag für die Schweizer Prospects

Die Trainingscamps in der NHL starten in wenigen Wochen. Der Draft und die spektakulärste Zeit der Free Agent Signings liegen hinter uns und trotzdem liegen wir nicht auf dem Trockenen, die NHL ist eine 365-Tage Unterhaltungsmaschine. In diesen Tagen übertrafen sich einschlägige Publikationen mit Einschätzungen der Prospects-Pipelines der einzelnen NHL-Franchises – ich berichtete in der letzten Woche davon – und jetzt wurden die besten U23-NHL-Talente gelistet und dies bei The Athletics, the Hockey Writers und anderen Fachmedien. 

Die Schweizer Ebbe bei Eishockeytalenten mit NHL-Format habe ich bereits in früheren Kommentaren angesprochen. Ich habe diese Schwäche aber auch leicht relativiert, weil ich der Meinung bin, dass nicht zu selten Schweizer Athleten in der Altersstufe 19-24 grosse Entwicklungsschritte vollziehen, eher grössere als Athleten in anderen Nationen. Aus diesem Grund ist die unreflektierte Betrachtung des NHL-Drafts für eine sachliche Analyse nur bedingt tauglich und Einschätzungen wie die vorerwähnten sehr wertvoll und runden das Qualitätsbild der Nachwuchsspieler sachlich ab.

Im Schatten von Deutschland und Österreich

Leider zeigt sich aber auch bei dieser Betrachtung aus Schweizer Sicht keine Trendwende, meine Relativierungen bestätigen sich in diesen Ranglisten nicht, denn nicht ein einziger Schweizer schaffte es unter die Top 100 bei The Athletic und bei den Hockey Writern – die aufgrund leicht anderer Kriterien gelistet wurden – ebenfalls nicht. Leicht neidisch blicken wir «gen» Norden, zum grossen Bruder aus Deutschland: Moritz Seider #2 – Tim Stützle #8 – Lukas Reichel #28 und J.J. Peterka #68 – das sind stolze Rangierungen und im Osten schielen wir nach Oesterreich und stellen fest, dass uns auch die Oesterreicher in diesen Rangierungen überholt haben (#67 Marco Kasper und #72 Marco Rossi). Sehr interessant und vor allem extrem aussergewöhnlich, ja sogar noch nie dagewesen und wird vermutlich auch nie wiederholt werden können: Ein Brüdertrio, Jack Hughes #1, Quinn Hughes #4 und Luke Hughes #11 gelten als NHL-Talente mit Allstarpotenzial oder sogar noch mehr. 

Wüste Schweiz?

Nicht ganz, immerhin erscheinen auf den Positionen #125 Lian Bichsel und #135 Philip Kurashev, ein kleiner Lichtblick, aber nicht mehr.

Léon Draisaitls Interview

Auch eines für mich bisher besten NHL Interviews zählt zu meinen NHL-Highlights der letzten Tage. Im Rahmen einer Medienpräsentation in Paris hat sich Eliot Friedman mit Léon Draisaitl unterhalten; Draisaitl, eine der ganz grossen Persönlichkeiten in der NHL. Dabei kam seine Verletzung während der Playoffs zur Sprache, es handelte sich um eine hässliche, sehr schmerzhafte Knöchelverstauchung im rechten Bein und Draisaitl hat sich amüsiert darüber gezeigt, dass die Spieler von Calgary seinen linken Knöchel attackiert haben… Die Verletzung hat ihn derart behindert, dass er praktisch Standhockey spielen musste. Wie Draisaitl selbstkritisch und augenzwinkernd anmerkte, gehört er ja grundsätzlich nicht zu den besten Schlittschuhläufern und mit dieser Verletzung litt dieser Aspekt noch zusätzlich. Er musste sein Spiel umstellen und versuchen, anderweitig positiven Einfluss auf sein Team nehmen zu können. Wer die Spiele gegen Calgary gesehen hat, der wird mir beipflichten, dass Draisaitls Leistungen in dieser Serie schlicht und einfach Weltklasse waren, dank seiner Spielintelligenz hat er es geschafft, trotz einer Verletzung – die während der Regular Season eine mehrwöchige Pause bedeutet hätte – sensationelle Leistungen abzurufen. 

  


Thomas Roost

Thomas Roost ist seit 1996 NHL-Scout für den Central Scouting Service und verfolgt die beste Liga der Welt hautnah.  Für MySports ist Roost als NHL-Experte & Co-Kommentator im Einsatz. In seiner wöchtenlichen Kolumne «Roosts Ramblings» schreibt er über Themen aus der NHL und der grossen Hockey-Welt.

https://www.thomasroost.com I Twitter: @thomasroost