Der Schuldige ist sehr oft nicht der Headcoach

In der NHL, der mächtigsten, lautesten, spektakulärsten, besten und reichsten Eishockeyliga der Welt ist der Erfolgsdruck am höchsten und der Einfluss des Coachingstaffs auf den Erfolg aufgrund des Salary Caps sogar etwas grösser als in unserer vergleichsweise beschaulichen National League. Was bedeutet das?

Erstaunlicherweise führte dies aber in der laufenden Saison 22/23 bisher nicht dazu, dass in der NHL mehr Headcoachingwechsel vollzogen wurden als in der Schweizer National League. Das Gegenteil ist der Fall: Von 14 Teams in unserer National League haben bereits 6 Teams (ZSC, HCD, SCB, HC Lugano, Lausanne HC und Ajoie) während der laufenden Saison den Headcoach ausgewechselt. In der NHL sind die Vancouver Canucks die einzige Ausnahme von insgesamt 32 Teams! Bruce Boudreau wurde am 22. Januar durch Rick Tocchet ersetzt. 

Dieses Missverhältnis wird noch dadurch potenziert, dass in unserer Liga valable Erklärungen für allfälligen Misserfolg bei der Budgetgrösse der einzelnen Teams gefunden werden können. Es ist kein Zufall, dass sich bei uns Teams wie Ambri, Langnau und Ajoie, Jahr für Jahr in der zweiten Tabellenhälfte wiederfinden, daran änderte auch die aufgestockte Importspieler-Regelung nur wenig. Die Erklärung der budgetmässig ungleich langen Spiesse fällt für allfälligen Misserfolg in der NHL weitgehend weg und trotzdem gibt es sehr deutlich weniger Headcoach-Wechsel als in unserer Liga?

Wieso ist dem so?

Die NHL ist Teil einer seit Jahrzehnten hoch professionalisierten nordamerikanischen Profisportkultur. Nichts wird dem Zufall überlassen, alles wird bis ins Detail analysiert. Das Knowhow über die Hebelwirkung von Erfolgsfaktoren ist dadurch im Durchschnitt höher als bei uns. Emotionale Entscheide – deren Begründungen bei einer sachlichen Analyse oft widerlegt werden könnten – sind bei uns viel eher an der Tagesordnung als in der NHL. Hinzu kommt, dass bei uns die Hebelwirkung von guten und weniger guten Headcoaches im Durchschnitt übersteigert eingeschätzt wird, während in der NHL realistischere Einordnungen vorgenommen werden.

Der Erfolg in einem Hockeyteam hängt vor allem von der Zusammensetzung der Mannschaft ab. Der Headcoach ist ein wichtiges Rädchen im ganzen Gefüge, aber halt auch nur ein Rädchen. In der NHL ist diese Erkenntnis gereift, vermutlich auch darum sind Headcoachwechsel in der NHL deutlich seltener als bei uns in der National League.

Bei uns sind Headcoachwechsel (zu) oft emotional und im Affekt gesteuert. Entscheidungsträger für Headcoachwechsel (in der Schweiz oft der VR) sind manchmal emotional zu stark «leidenschaftliche Fans» und zu wenig kühl und gelassen analysierende Manager. Unterstützt werden sie meistens durch polemische Boulevard-Medien, die indirekt zusätzlichen Druck bei Fans und Entscheidungsträgern aufbauen. 

Die NHL ist somit auch in diesem Bereich professioneller, analytischer, smarter als unsere Liga? Not so fast, meine Antwort ist nur «tendenziell ja». Auch in der NHL wird aktuell mehr oder weniger heftig über potenzielle Headcoachwechsel debattiert.

Der Nächste, bitte!

Welche NHL-Coach-Köpfe werden am ehesten rollen? Welche Coaches sind aus heutiger Sicht am meisten gefährdet? Meine Wahrnehmung ist, dass Dallas Eakins, Anaheim Ducks und Brad Larsen, Columbus Blue Jackets, am meisten gefährdet sind. Dallas Eakins wurde nicht vom amtierenden GM, Pat Verbeek, engagiert und diese Konstellation ist immer gefährlich für den Coach. Eakins coacht die Ducks im vierten Jahr und die Ducks stehen so ziemlich am Ende der Tabelle. Ich erwarte einen Wechsel spätestens am Ende der Saison. Gleiches gilt für Brad Larsen bei den Blue Jackets. Sie wurden heftig von Langzeitverletzungen von Schlüsselspielern gebeutelt, aber mit der Verpflichtung von Johnny Gaudreau lagen die Erwartungen sehr deutlich höher, Verletzungen hin oder her. Wenn die Blue Jackets wieder in Vollbestand sind, dass müssen sofort sehr viel bessere Resultate her, ansonsten sehe ich auch für Brad Larsen keine Zukunft in Columbus.

Auch die Situationen mit Paul Maurice in Florida und John Hynes in Nashville werden in den nächsten Wochen vom Management genauer analysiert. Beide Teams blieben bis jetzt unter den Erwartungen, wobei die Erwartungen in Nashville meiner Meinung nach etwas zu optimistisch waren; dies unter Berücksichtigung der letzten Saison, in der einige Schlüsselspieler der Predators Leistungen über ihrem eigentlichen Wert abgeliefert haben und somit eine Wiederholung auf diesem Niveau nicht ganz erwartet werden durfte. Bei Florida würde hingegen die Analyse beim Verpassen der Playoffs ziemlich schnell auch den Headcoach Paul Maurice ins Spiel bringen, denn der letztjährige Dominator der Regular Season ist auf dem Papier trotz eines «überbezahlten Trades» (Tkachuk für Huberdeau und Weegar) sicher noch immer gut genug für die Playoffqualifikation.

Nicht nur die Headcoach-Diskussionen werden uns in nächster Zukunft begleiten, vor allem auch die Trade-Deadline vom 3. März wird uns fast täglich beschäftigen. Spannende, unterhaltsame NHL-Zeiten leuchten am Horizont.

  


Thomas Roost

Thomas Roost ist seit 1996 NHL-Scout für den Central Scouting Service und verfolgt die beste Liga der Welt hautnah.  Für MySports ist Roost als NHL-Experte & Co-Kommentator im Einsatz. In seiner wöchtenlichen Kolumne «Roosts Ramblings» schreibt er über Themen aus der NHL und der grossen Hockey-Welt.

https://www.thomasroost.com I Twitter: @thomasroost